„Zahnrettungsboxen“ sollten in Rettungswagen, Sportvereinen und Schulen zum Standard werden
DGMKG-Experten berichten auf Online-Pressekonferenz am 6. Juni 2024 über moderne Behandlungskonzepte

Mai 2024 – Es passiert schneller als gedacht: Wenn Kinder und Jugendliche übermütig auf dem Schulhof toben oder Patienten einen Unfall bei einer Fahrradtour erleiden, schlagen sie sich häufig Zähne aus. Mehr als jeder Vierte erleidet über alle Altersgruppen hinweg gerechnet Zahnverletzungen – besonders häufig betroffen sind die Schneide- und Frontzähne. Etwa eine Milliarde Menschen sind weltweit aktuell oder in der Vergangenheit von einem Zahntrauma betroffen gewesen, was damit als fünfthäufigste Erkrankung des Menschen überhaupt gilt. Die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e.V. (DGMKG) empfiehlt in solchen Fällen eine Notfallversorgung direkt am Unfallort und spricht sich für eine Aufbewahrung der ausgeschlagenen Zähne in einer Zahnrettungsbox aus. Rettungswagen, Sportvereine und Schulen sollten idealerweise möglichst flächendeckend mit solchen Boxen ausgestattet sein. Über diese und weitere Empfehlungen berichten Experten der Fachgesellschaft auf einer Online-Pressekonferenz am 6. Juni 2024, die im Zuge des diesjährigen DGMKG Kongresses stattfindet.

Sie können sich hier https://register.gotowebinar.com/register/698581748193331542 für die Pressekonferenz anmelden.

Eine Verletzung, die besonders häufig auftritt, ist ein ausgeschlagener Schneidezahn – etwa durch einen Unfall auf dem Schulhof. „Entscheidend für den langfristigen Zahnerhalt ist dann eine Notfallversorgung direkt am Unfallort“, erklärt Professor Dr. Dr. Hendrik Terheyden, Pressesprecher der DGMKG. „Am besten sammelt man den Zahn oder die Zahnfragmente auf und legt sie so schnell wie möglich in eine sogenannte Zahnrettungsbox – ohne ihn/sie abzuspülen, zu reinigen oder irgendwie zu manipulieren. „Nach Kenntnis der DGMKG sind Rettungswagen in Deutschland zwar in der Regel mit Amputatbeuteln ausgestattet, nicht aber mit Zahnrettungsboxen, was ein Mangel ist“, so Terheyden. Neben Schulen und Sportstätten sollten auch Rettungswagen mit den nur wenige Euro teuren Zahnrettungsboxen ausgestattet sein, um mögliche Folgeschäden des Zahntraumas niedrig zu halten. Wenn solche Aufbewahrungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, können traumatisierte Zähne – idealerweise auch direkt am Unfallort – in Milch / H-Milch oder im eigenen Mundspeichel der Pateinten feucht zwischengelagert werden.

„Im Rahmen der chirurgischen Erstversorgung werden ausgeschlagene Zähne schonend gereinigt und replantiert“, so Professor Dr. Dr. Dirk Nolte. Diese und weitere Empfehlungen hat er als federführender Autor zusammen mit Expert*innen der DGMKG und anderer Fachgesellschaften in der aktualisierten S2k-Leitlinie „Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne“ zusammengefasst.

Basierend darauf berichtet Univ.-Professor. Dr. Dr. Dr. hc. Jürgen Hoffmann, diesjähriger Kongresspräsident in Heidelberg und Pastpräsident der DGMKG: „Entscheidend für die Chancen zum vollwertigen Wiedereinheilen der Zähne ist die Vitalität der empfindlichen Wurzelhaut. Besonders Trockenheit oder Lösungen mit falscher Ionenzusammensetzung schädigen die Zellen der Wurzelhaut.“ Zähne mit geschädigter Wurzelhaut können auch replantiert werden, aber das ist problematisch: dann werden die Zahnwurzeln von knochenabbauenden Zellen im Körper langsam abgebaut und durch Knochen ersetzt und verschwinden.

Die chirurgische Erstversorgung des Zahntraumas soll in der Regel minimalinvasiv durchgeführt werden. Zunächst werden die Patienten allgemein stabilisiert, es erfolgt eine allgemeine Diagnostik hinsichtlich weiterer Verletzungen – zum Beispiel einer Gehirnerschütterung – und bei Bedarf eine Tetanusvorsorge und eine Dokumentation, denn auch Schulhofverletzungen sind Arbeitsunfälle und unterliegen in der Regel der gesetzlichen Unfallversicherung. „Die betroffenen Zähne und das umliegende Gewebe werden mit Schienen für einige Zeit ruhiggestellt“, erläutert Terheyden. „Minimal invasiv bedeutet, sich auf Reposition und Ruhigstellung der Gewebe zu beschränken. Invasive Maßnahmen wie zum Beispiel der Einsatz von Zahnimplantaten, erfolgen hingegen nicht im Rahmen der chirurgischen Erstversorgung.“ Verletzte Zähne werden replantiert, die Kiefergewebe werden in ihre natürliche Lage zurückgestellt und Weichteilverletzungen werden versorgt.

In einem nächsten Behandlungsschritt – wenn die Patient*innen sich etwas erholt und die Zähne sich stabilisiert haben – erfolgen bei Bedarf dann weitere Behandlungen am Zahn – etwa Wurzelkanalbehandlungen, kieferorthopädische Maßnahmen oder restaurative Zahnheilkunde zur Wiederherstellung der Zahnsubstanz und der Kaufunktion. „Erstes Ziel ist die Erhaltung der traumatisierten Zähne. Erst wenn die zahnerhaltenden Maßnahmen nicht zum Ziel geführt haben, ist ein Zahnersatz bei jungen Patienten – zum Beispiel durch eine Zahntransplantation durchgeführt bei einem Fachzahnarzt oder MKG-Chirurgen – empfehlenswert“, so Dr. Jörg Wiegner, Präsident der DGMKG. Zahntransplantate sind ein guter Zahnersatz für obere Schneidezähne von Kindern, zum Beispiel aus dem eigenen Backzahnbereich, weil sie am weiteren Kieferwachstum teilnehmen können. Zahnimplantate tun dies nicht und werden deshalb in der Regel erst nach Abschluss des pubertären Wachstumsschubes oder bei Erwachsenen gesetzt. Zur Überbrückung bis dahin sollten die Möglichkeiten der chirurgischen oder konservierenden Zahnerhaltung ausgenutzt werden. „Es ist wichtig, die ausgeschlagenen Zähne zu erhalten oder funktionell zu ersetzen“, warnt Terheyden. Ist dies nicht möglich oder nicht erfolgt, bildet sich der Knochen in der Zahnlücke zurück; die Knochendefekte behindern dann eine spätere Implantation und können einen aufwändigen Knochenaufbau erfordern.

Literatur:
Aktualisierte S2k-Leitlinie „Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne“ – https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-004


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